Tiefzinsen: Die Schwächsten trifft’s am stärksten

Zinsen polarisieren seit fast 4500 Jahren – mal fand man sie positiv, mal negativ. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

Wesentlich für die Einschätzung von Zinsen ist, auf welcher Seite man steht: Schuldner oder Gläubiger. Letztere tendieren generell dazu, möglichst hohe Zinsen zu erhalten.

Oder man steht auf jener Seite, die Zinsen generell kritisiert. Wie zum Beispiel Michael Ende, der in seinem Buch „Momo“, die Zinsen für gesparte Zeit, sehr kritisch betrachtet.

Eines ist aber klar: Die aktuell anhaltende Tiefzinssituation hat das Potential, die Schweiz zu verändern – dauerhaft und nicht wirklich positiv.

Wer hat, dem wird gegeben

Damit man Gläubiger sein kann, muss man etwas haben. Etwas, das man nicht täglich braucht, und das man gerne gegen ein Entgelt jemand anderem ausleiht. Und dieses „etwas“ ist eben meistens Geld. Wer also Geld hat, kann dieses auch verleihen, und findet es toll, wenn man dafür Zins erhält – möglichst viel Zins.

Der geneigte Leser hat also schon gemerkt, dass das alte, christliche Prinzip „Geben ist seliger als nehmen“ (Apostelgeschichte 20,35) in dieser Diskussion keine Anwendung findet.

Auch wer nur wenig Besitz hat, konnte in den letzten Jahrzehnten so profitieren. Denn Banken haben Geld, auch gerne nur für kurze Zeit, entgegengenommen und dafür einen Zins bezahlt. Das ermöglichte den Arbeitnehmern, auch für das Geld auf ihrem Gehaltskonto, einen kleinen Zins zu erwirtschaften – oder auf dem Sparkonto, einen etwas grösseren.

Das hat gut funktioniert, weil Banken auf dieses Geld angewiesen waren, um langfristige Kredite zu vergeben. Und Geld war ein knappes Gut. Dafür hat man gerne was gezahlt. Das hat sich nun aber geändert – spürbar!

Geld zaubern – für Zentralbanken keine Magie

Geld ist heute im Überfluss vorhanden. Und das nicht zuletzt aufgrund der Politik der Europäischen Zentralbank (EZB). Mit ihrem „Quantitative Easing“, was sich für viele wie ein Zauberspruch aus Harry Potter anhört, hat sie Europa mit Geld geflutet. Ein Wunderzauber ist das sicherlich nicht. Im Gegenteil: Es erinnert stark an den Zauberlehrling von Goethe – denn wie man das „Experiment“ beendet, und das so gezauberte Geld wieder wegbringt, weiss niemand.

Gebühren gebühren sich nicht

Banken suchen also das Geld der Arbeitnehmer und Sparer nicht mehr. Deshalb zahlen sie auch keine Zinsen mehr. Im Gegenteil: Heute stört es viele Banken geradezu, dass sie die Arbeitnehmer und Sparer noch bedienen müssen. Also führen sie auf Salär- und Sparkonten neue Gebühren ein.

Bei der Einführung solcher Gebühren zeigen Banken, dass sie durchaus kreativ sind. Kontoführungsgebühren, Paketgebühren, Schaltergebühren, Kartengebühren, Bankomatengebühr, Kontoauszugsgebühr oder Saldoauskunftsgebühr gehören heute zum Standard. Einige Institute gehen sogar soweit, das Vorsorgekapital (Freizügigkeit) anzutasten und da auch noch Gebühren zu verlangen.

Kein Wunder also, dass die moderne, digitale Konkurrenz der Banken da ihre Chance sehen: Die Fintechs. Dank konsequenter Digitalisierung der Prozesse arbeiten sie wesentlich kosteneffizienter und können dementsprechend auch mit tieferen Einnahmen leben. Hohe Gebühren sind da nicht wirklich nötig. Vermutlich werden einige Banken, aufgrund dieser Konkurrenz, ihre Gebühren nochmals überdenken.

Staatsgarantie: Ein Unglück kommt selten allein

Aber auch die Staatsgarantie, von der viele Kantonalbanken profitieren, hat im Zusammenhang mit den Tiefzinsen weitreichende Folgen. Denn diese Staatsgarantie vermittelt den Sparern ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit. Und wer will sein Erspartes nicht in Sicherheit wissen? Das war über viele Jahre ein Wettbewerbsvorteil für Kantonalbanken, wenn es darum ging Spar- und Vorsorgegelder anzuziehen.

Aufgrund dieses Wettbewerbsvorteils schwimmen diese Banken heute geradezu in Geld, und sie wissen nicht, was sie damit tun sollen. Denn bei der Nationalbank zahlen sie dafür ja Negativzinsen in der Höhe von 0.75%. Aus dem bisherigen Vorteil wird nun plötzlich ein Problem.

Entsprechend werfen sie das Geld regelrecht auf den Markt – zu Konditionen, mit denen keine «normale» Bank leben kann. Für die staatlich geschützten Banken ist das kein Problem. Auch wenn sie das Geld zu 0.00% ausleihen, fahren sie ja noch 0.75% besser als bei der Nationalbank. Und sollte die Rechnung dann doch nicht aufgehen, haftet der Staat. Also der Steuerzahler. Also du und ich.

Durch dieses Vorgehen stören sie den Finanzmarkt und die normale Preisfindung massiv. Das marktwirtschaftliche Prinzip wird durch indirekte, staatliche Einmischung ausser Kraft gesetzt. Die anderen, oftmals kleinere Banken, kommen vermehrt unter Druck. Es entsteht ein ungesunder und langfristig vermutlich ruinöser Preiskampf. Die Erträge der Banken sinken, während die Kosten aufgrund laufend zunehmender Regulierung steigen.

So werden Banken ohne Staatsgarantie gezwungen, andere Ertragsquellen zu suchen. Und die am einfachsten zu erschliessende alternative Ertragsquelle heisst bei vielen Banken eben höhere Gebühren.

Die einen führen also Gebühren ein, um Kundengelder abzuwehren, die anderen führen die Gebühren ein, weil die Erträge sinken. Für den Bankkunden ist das einerlei: Er bezahlt. Und da die meisten Gebühren für alle Bankkunden identisch sind, bezahlen die kleinen Kunden prozentual am meisten.

Tiefe Hypothekarzinsen helfen – den Reichen

Natürlich: Menschen, die ein Eigenheim besitzen, profitieren von den tiefen Zinsen. Noch nie haben sie so wenig fürs Wohnen bezahlt.

Davon profitiert aber nur eine Minderheit. Gemäss BFS leben gerade nur rund 41% der Schweizer Haushalte in Wohneigentum. Die Mieter wiederum profitieren nicht von den tiefen Zinsen. Im Gegenteil: Die Mieten steigen laufend.

Für die einkommensschwächeren 40% der Haushalte wird Eigenheim wohl immer ein Traum bleiben. Und der ist aufgrund der verschärften Eigenmittelanforderung bei Hypotheken in weite Ferne gerückt.

Die Schere öffnet sich – schneller und weiter

Die weniger vermögenden Haushalte werden also, durch die fehlenden Zinserträge und zusätzlichen Bankgebühren, verhältnismässig stärker belastet werden und können nicht von tieferen Lebenskosten (Miete) profitieren.

Für die gut situierten Haushalte hingegen sind die zusätzlichen Bankgebühren – wenn auch störend – ein Pappenstiel, und die tiefen Hypothekarkosten ein regelrechter Gewinn. Und sie haben die Möglichkeit, anstatt das Geld auf einem Bankkonto zu horten, in Aktien zu investieren. Und weil das „alle“ tun, steigen da die Preise und sie machen einen schönen Gewinn. Und so wird sich der Abstand zu den unteren Vermögensschichten weiter vergrössern.

Schon heute haben rund 55% der steuerpflichtigen Schweizer ein Vermögen von weniger als 50’000 Franken. Dafür haben rund 5.9% ein Vermögen von über einer Million Franken.

Leider kein Rezept

Was also können die finanziell Schwächsten tun, um die Situation für sich zu verbessern? Leider sind die Möglichkeiten sehr beschränkt.

Eine (kleine) Möglichkeit besteht aber: Sie sollten Banken wählen, die sie nicht noch mit unfairen Gebühren belasten. Und diese gibt es immer noch. Gerade kleinere und mittlere Regionalbanken bieten faire Angebote, auch für Kunden ohne grosse Vermögen. Vergleichen und wechseln kann sich also lohnen.

Und ja: Die einen oder anderen Banken zahlen für Spar- und Vorsorgegelder noch Zinsen. Zugeben: Nicht mehr viel. Aber, je länger desto mehr, gilt auch hier: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Vergleichen lohnt sich also.

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