Sollen Banken auf digitale Kanäle oder auf Filialen setzen? Das Thema scheint gerade wieder aktuell zu werden. Aber nicht die Pro-Digital-Fraktion lässt sich aktuell vernehmen, sondern die Bewahrer-Fraktion.
Da lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen.
Alles beim Alten – die CEOs
In einem Beitrag auf Der Bank Blog setzt sich Dr. Ingo Wiedemeier, Vorstandsvorsitzender der Frankfurter Sparkasse, differenziert mit der Frage «Online oder Filiale» auseinander. Er stellt in seinen drei Thesen fest, dass
- weniger Filialen die bestehenden besser auslasten,
- der Beratungsbedarf der Kunden steigt – gerade im Anlagegeschäft – und die Kunden «finanzielle Entscheidungen nicht allein im stillen Kämmerlein vor einem flirrenden Bildschirm treffen möchten»,
- zwar Alltagsgeschäfte gerne online erledigt werden, bei wichtigen Entscheiden, wie einem Hauskauf, Familiengründung, einem Erbfall oder der Rente aber das persönliche Gespräch im Vordergrund steht.
Fast gleichzeitig sehe ich das Interview mit Dieter Widmer, CEO der Aargauischen Kantonalbank (AKB), im Boyden Leading Transformation Report 2024/2025. Bei all seinen Antworten ist eine Grundhaltung spürbar: Eigentlich muss man gar nicht viel ändern. Banking bleibt Banking. «Es klingt langweilig», ist aber so: Nur Vertrauen zählt. Das sei wichtiger als eine neue Funktion im Mobile Banking.
Mit dem letzten Punkt mag er recht haben. Aufhorchen lässt mich aber folgende Aussage:
«Unsere Kundinnen und Kunden sind viel weniger digital, als manche glauben. Innovation im Banking ist nicht so wichtig wie in anderen Branchen.»
Das steht im krassen Gegensatz zu dem, was Studien zeigen.
Keine Champions
So zeigt der aktuell erschienene Report Digital Banking Maturity 2024 von Deloitte, dass keine Schweizer Bank zu den Digital Champions gehört. Keine. Im Gegenteil: Sie verlieren noch an Boden.
Auch die deutschen Banken sind weit weg von Digital Champion. Auch hier hat es keine einzige Bank in den Bereich der Digital Champions geschafft. Insgesamt tummelt man sich im Bereich des globalen Durchschnitts.
Aufgrund der zugänglichen Daten ist ein direkter Vergleich zwischen der Schweiz und Deutschland leider nicht möglich. Macht nichts. Die wichtigste Frage bleibt sowieso bestehen: Warum sehen Bankleiter die Situation so anders als die Studien? Sind die Schweizer und deutschen Bankkunden wirklich so anders?
Filialzwang bei CS
Eine aktuelle persönliche Erfahrung mit einer Erbschaft lässt mich etwas anderes vermuten:
Meine soeben verstorbene Mutter hatte bei drei Banken Kontoverbindungen. Zwei Banken erledigten die Erbschaft problemlos per Post oder sogar per E-Mail. Es genügte, Ausweiskopien zu senden. Bei der Credit Suisse (CS) ist das anders. Man müsse eine Identifikation vornehmen – wegen der Geldwäschereivorschriften. Man müsse auch den originalen Erbschein sehen. Eine Kopie, wie bei den anderen Banken, reiche nicht. Dafür ist zwingend eine Vorsprache in einer Filiale nötig – und zwar von beiden Erben. Leider hat man bei beiden Besuchen nicht gefragt, was mit dem Aktiendepot geschehen soll. Kann man ja auch nicht – Bankkundengeheimnis und so. Das muss nun doch auf dem Korrespondenzweg erledigt werden.
Ich bin also nach ungefähr zehn Jahren wieder mal in einer Bankfiliale gewesen. Weil mir das bei einer so wichtigen Sache wie einer Erbschaft ein Anliegen war? Nein. Weil es bei dieser Bank gar nicht anders geht.
In den Statistiken der CS werde ich als Filialbesucher gezählt. Vielleicht kann man meine Wartezeit von fünfzehn Minuten so interpretieren, dass es noch (mehr) Bankfilialen braucht…
Huhn oder Ei?
Ich stelle mir deshalb die Frage, ob die Sicht der Bankleiter nicht etwas getrübt ist. Getrübt durch das aktuelle Angebot ihrer Bank und durch die aktuellen Prozesse. Oder wie es auf Neudeutsch heisst: Biased.
Naheliegender scheint folgende Hypothese: Die Kunden werden als «weniger digital, als man denkt» wahrgenommen, weil die angebotenen digitalen Möglichkeiten allenfalls «globaler Durchschnitt» sind?
Aus strategischer Sicht stellt sich zudem die Frage, ob man von den aktuellen Kunden ausgehen sollte. Wie lange werden die Kunden, die den Gang zur Filiale bevorzugen, noch Bankgeschäfte machen? Und wohin werden sich junge, digitale Kunden wohl wenden, wenn die traditionellen Banken sie «zwingen», in die Filiale zu kommen?
Filialen sind nicht tot
Ich gebe gerne zu: Ich bin ein Digital Mind. Papierprozesse und Filialbesuche liegen mir grundsätzlich nicht. Sie ärgern mich und ich sehe sie als Zeiträuber.
Es wird aber immer Kunden und Geschäftsfälle geben, bei denen Bankfilialen das bessere Beratungserlebnis bieten. Davon bin ich überzeugt und darüber schrieb ich schon 2017 und 2020.
Die Frage ist, welche Aufgaben die Bankfilialen künftig erfüllen und welches Beratungserlebnis mir geboten wird. Am Schalter stehen wie ein Bittsteller? Zusehen müssen, wie ein Bankberater ein paar Kopien macht und Stempel auf unzählige Seiten Papier drückt? Sicher nicht.
Ich bin überzeugt: Die klassische Bankfiliale hat ausgedient. Es braucht tolle, moderne Beratungs- und Begegnungsfilialen mit kompetenten, engagierten und motivierten Beraterinnen und Berater. Die Beratungsleistung soll durch sinnvolle digitale Tools unterstützt werden und ein einmaliges Beratungserlebnis bieten.
Vielleicht finde auch ich dann wieder mal (freiwillig) den Weg in eine Bankfiliale. Allenfalls zu meinem nächsten «wichtigen Lebensereignis»: Meiner Pensionierung. Also so in 12 Jahren.
Nein – ich glaube, auch dann nicht.