Facebook lanciert zusammen mit anderen Multis eine eigene Währung und die Weltpresse feiert das vermeintlich revolutionäre Vorhaben. Es lockt die Freiheit vom etablierten Finanzsystem. Da lohnt es sich, etwas genauer – und vielleicht auch etwas kritisch – hinzuschauen.

Die globalen Gutmenschen

Wer eine neue Währung kreiert macht das, weil der die bestehenden Währungen nicht gut findet und weil er mit seiner neuen Währung etwas Bestimmtes erreichen möchte. Libra wurde gemäss Whitepaper geschaffen, um Kosten für Finanzdienstleistungen zu senken und um den ärmeren Menschen den Zugang zu einem globalen Finanzsystem zu geben.  Das neue Zahlungssystem soll als „öffentliches Gemeingut“ organisiert und von Milliarden Menschen genutzt werden. Zwischen den Zeilen heisst das: Es soll nicht mehr von den Banken kontrolliert werden. Als Ziel wird auch definiert, dass man mit diesem neuen System den globalen Handel stärkt.

Das tönt doch schon mal sehr gut. Jeder wird darin einen Punkt finden, der ihm gefällt: Tiefere Kosten, Disruption, Brechen des Bankenmonopols, Stärkung des globalen Handels, gleiche Chancen für alle, Finanzzugang für die Ärmsten. Ein regelrecht altruistisches Projekt! Fast schon zu gut, um wahr zu sein…

Demokratisierung = Fehlanzeige

Zeitgemäss baut man die neue Währung auf der Blockchain-Technologie auf. Libra wird als Stablecoin ausgestaltet, heisst also, die Währung ist gedeckt durch Werte in Fiat-Währungen. In einem ersten Schritt wird auf eine genehmigungspflichtige Blockchain gesetzt – wohl auch um den Stromverbrauch nicht, wie z.B. bei Bitcoin, ins Unermessliche zu treiben. Man schreibt, dass man innert 5 Jahren zu einer genehmigungsfreien Blockchain übergehen will, sagt aber auch, dass man noch nicht weiss, wie das gehen soll. Da Libra nicht „geschürft“ wird, stellt sich auch die Frage, warum denn Miner überhaupt Rechenkapazität zur Verfügung stellen sollen. Ein Blick in die Glaskugel offenbart deshalb: Libra wird immer von den Gründern, insbesondere Facebook, kontrolliert werden.

 


Unter Generalverdacht

Rechenkapazität werden die Initianten und Mitinitianten sicher genügend zur Verfügung stellen können. Ein Blick auf die involvierten Firmen gleicht einem „Who is who“ der globalen Wirtschaft – und lässt einen an der Redlichkeit des Vorhabens zweifeln. Da schliessen sich globale Unternehmen zusammen, die zusammen einen Umsatz von rund 200 Milliarden erwirtschaften, um den Armen zu helfen und die Welt zu verbessern. Interessanterweise auch diejenigen, die heute schon einen wesentlichen Teil der bargeldlosen Transaktionen kontrollieren – und wohlgemerkt gut vom aktuellen Bankensystem leben. Warum genau bieten Mastercard, Visa und Paypal ihre Dienstleistungen nicht heute schon zu einem Preis an, den sich auch die Ärmsten leisten können?

Viel ehrlicher ist da wahrscheinlich die Aussage, dass man den globalen Handel stärken möchte. Hier kommen dann die rein kommerziellen Interessen der Initianten zum Ausdruck. Das ist per se nichts Verwerfliches – sich unter einem sozialen Denkmantel zu verstecken schon.

Tiefere Kosten – wirklich?

Eine grosse Frage wird sein, ob die Kosten für die Benutzer wirklich tiefer sein werden. Klar, die eigentliche Transaktion mit Libra wird sicherlich kostenlos sein.

Wie wechselt man aber seine normale Währung in Libra und wieder zurück? Hier kommen wohl die Mastercards, Visas und Paypals dieser Welt ins Spiel. Es würde doch sehr erstaunen, wenn sie solche Transaktionen plötzlich gebührenfrei anbieten würden.

Gemäss Whitepaper sollen auch „Börsen“ etabliert werden, die untereinander im Wettbewerb stehen. Auch diese Formulierung macht klar, dass hier Gebühren anfallen werden – denn ohne Gebühren wäre auch kein Wettbewerb nötig.

Standortwahl – ein Bekenntnis zu Komplementärwährungen?

Was war wohl der Grund, die Schweiz als Standort für Libra zu wählen? Ein Schelm, der steuerliche Vorteile vermutet! Vermutlich hat man sich für Genf entschieden, weil es in der Schweiz seit 85 Jahren einen „Stablecoin“ namens WIR gibt. Zugegeben: Noch nicht basierend auf der Blockchain. Aber doch um einiges stabiler: Denn bei WIR ist der grösste Teil der Geldmenge mit realen Werten (Immobilien) unterlegt und nicht durch Fiat-Währungen. Vielleicht erhofft sich Libra da einfach zusätzliches Fachwissen…

Machtübernahme durch die globale Wirtschaft

Trotz all dem Positiven, das mit der Einführung einer globalen Währung verbunden ist, muss man sich die Frage stellen, welches die möglichen negativen Auswirkungen sind. Und diese sind bei Libra offensichtlich vorhanden. Denn es geht schlicht darum, dass die grossen globalen Unternehmen noch besser und noch einfacher Geschäfte machen können. Die Marktmacht dieser Unternehmen ist heute schon riesig und sie verdrängen schon heute lokale Unternehmen – und damit auch Arbeitsplätze. Das führt über kurz oder lang zur Verödung von Dörfern und Agglomerationen.

Das kleinere Übel

Dank Libra hat man die Wahl: Zahlungen über ein Netz, das von geldgierigen Banken betrieben wird oder über ein Netz, das von ebenso geldgierigen globalen Playern aus der Internetbranche betrieben wird. Es wird spannend sein, für wen sich die Konsumenten entscheiden.

Eins ist aber sicher: Die grosse Freiheit – wie es der Name verspricht – wird Libra nicht bringen. Denn bestenfalls begibt man sich von der Kontrolle der Finanzindustrie unter die Kontrolle der Internetgiganten. Was das kleinere Übel ist, muss wohl jeder selbst entscheiden.

2 Kommentar

  1. Ciao Claudio

    Gut, dass mal jemand das Thema aufgreift. Ich fand das auch eine der wichtigeren Schlagzeilen der letzten Tage.
    Interessant auch, wie wenig das Thema von den Medien und der Öffentlichkeit aufgegriffen und diskutiert wird.
    Dazu ist es dann für den Otto – Normalverbraucher und durchschnittlichen Journalisten scheinbar wieder zu komplex. Stable-Coin, Blockchain, Smart Contract … für die meisten nach wie vor völlig abstrakte Dinge.

    Apropos Otto-Normalverbraucher/Konsument – um deine Frage am Ende aufzugreifen – der wird sich, wie immer, für das entscheiden, was einfach und billig ist und funktioniert. Dem wird es völlig egal sein, wer die Transaktion im Hintergrund ausführt.

    Ich frage mich aber, wie das finanzmarktaufsichtsrechtlich kontrolliert werden soll?

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