Die Schweiz ist ein Kuriosum. Ein so kleines Land – aber vier Amtssprachen. Für uns Schweizerinnen und Schweizer ist das ganz normal. Aber ganz ehrlich: Auch wir tun uns manchmal schwer damit. Gerade im Geschäftsalltag ist es nicht immer einfach. Gesamtschweizerisch tätige Banken stehen vor der Herausforderung, immer genügend Mitarbeitende zu haben, die die jeweilige Landessprache beherrschen. In den Filialen vor Ort ist das natürlich kein Problem. Aber in den zentralisierten Contact Centers kann das zu einer einem grösseren Challenge werden. Wie findet man genügend Mitarbeitende, die Französisch auf Mutterspracheniveau sprechen? Künstliche Intelligenz bietet ganz neue Möglichkeiten.
Französisch geht gar nicht
Für viele Deutschschweizer ist Französisch ein Graus und entsprechend schlecht können sie sich auf Französisch ausdrücken – der Autor schliesst sich hier ausdrücklich mit ein. Und auch die Romands tun sich entsprechend schwer mit Deutsch. Das führt nicht nur zu Schwierigkeiten im Alltag, sondern man sieht teilweise schon den «Sprachfrieden» bedroht. Das ist sicher übertrieben. Aber es ist spürbar, dass im Alltag immer mehr auf Englisch ausgewichen wird und es so zu einer weiteren Landessprache wird.
Diese Fremdsprachenmüdigkeit führt zunehmend zu Rekrutierungsproblemen in Contact Centern. Denn «Schulfranzösisch» reicht meist nicht aus, um Kunden aus der Romandie zu betreuen.
Aber auch KMU tun sich schwer damit. Gerne würde man die wenigen Anfragen aus dem anderen Sprachgebiet professionell bearbeiten und den einen oder anderen Auftrag gewinnen. Aber es lohnt sich oft nicht, extra Mitarbeitende einstellen, die wirklich gut Französisch sprechen.
Nicht nur Landessprachen
Die Schweiz ist aber längst kein viersprachiges Land mehr. Die Migration hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen in der Schweiz keine der Landessprachen mehr beherrschen.
Hochqualifizierte Expats aber auch Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft leben heute über viele Jahre ohne sprachliche Integration in der Schweiz. In ihrer «Bubble» bekommen sie alles, was sie brauchen. Sie haben «Consultants», die ihnen Behördengänge und offizielle Korrespondenz abnehmen.
Für Banken und andere Unternehmen ist das eine Herausforderung aber auch eine Chance. Wem es gelingt, diese Zielgruppen in ihrer Muttersprache zu bedienen, verschafft sich einen Marktvorteil. Doch wie lässt sich der Kundendienst auf Tamilisch, Schwedisch, Portugiesisch, Albanisch oder Türkisch langfristig sicherstellen?
Übersetzung aus dem Internet
Manche Schweizerin und mancher Schweizer hat sich wohl schon den Babelfisch aus dem Film «Per Anhalter durch die Galaxis» gewünscht. Für alle, die den Film nicht kennen, hier die Originalbeschreibung, was ein Babelfisch ist und kann:
„Der Babelfisch ist klein, gelb und blutegelartig und wahrscheinlich das Eigentümlichste, was es im ganzen Universum gibt. Er lebt von Gehirnströmen, die er nicht seinem jeweiligen Wirt, sondern seiner Umgebung entzieht. Er nimmt alle unbewussten Denkfrequenzen dieser Gehirnströme auf und ernährt sich von ihnen. Dann scheidet er ins Gehirn seines Wirtes eine telepathische Matrix aus, die sich aus den bewussten Denkfrequenzen und Nervensignalen der Sprachzentren des Gehirns zusammensetzt. Der praktische Nutzeffekt der Sache ist, dass man mit einem Babelfisch im Ohr augenblicklich alles versteht, was einem in irgendeiner Sprache gesagt wird. Die Sprachmuster, die man hört, werden durch die Gehirnstrommatrix entschlüsselt, die einem der Babelfisch ins Gehirn eingegeben hat»
Kurz gesagt: Der Babelfisch übersetzt jede Sprache der Welt in meine Muttersprache – in Echtzeit.
In Anlehnung an den Film, war «Babel Fish» auch der Name der ersten grossen Übersetzungslösung im Internet. Sie wurde 1997 in die Suchmaschine Altavista eingebaut und so schnell weltweit bekannt. Yahoo stellte den Dienst 2012 ein.
Die indirekten Nachfolgelösungen waren wesentlich leistungsfähiger, schneller und besser. Eine Übersetzung von deepl.com aus dem Deutschen in Französische unterscheidet sich nicht mehr wesentlich von der Arbeit eines professionellen Übersetzers.
Künstliche Intelligenz übersetzt gesprochene Sprache – in Echtzeit
Der Babelfisch von Douglas Adams (das Buch stammt übrigens aus dem Jahr 1979) ist heute Realität. ChatGPT 4o übersetzt gesprochene Sprache – schnell und gut. Die Ergebnisse sind beeindruckend.
Ein Selbstversuch zeigt, dass ChatGPT-4o auch Schweizerdeutsch versteht. Es ist auch davon überzeugt, dass es Schweizerdeutsch sprechen kann. Aus dem Lautsprecher kommt aber normales Hochdeutsch. Ein Effekt, den man auch vom einen oder anderen deutschen Komiker kennt.
Chancen für Banken
Für Banken und andere Unternehmen mit Contact Centern ist diese Entwicklung sehr spannend. Plötzlich ist es möglich, Kundengespräche in jeder beliebigen Sprache zu führen. Neue Kundengruppen und neue Märkte können leichter erschlossen werden. Der krankheitsbedingte Ausfall eines fremdsprachigen Mitarbeiters führt nicht gleich zu grosser Hektik.
Zugegeben: Ob das heute schon im Arbeitsalltag funktionieren würde, müsste man mal ernsthaft ausprobieren.
Ein einfacherer Einstieg wäre sicher über Voice Messages möglich. Diese werden immer beliebter. 41 Prozent der Smartphone-Nutzer versenden gerne Sprachnachrichten, 59 Prozent freuen sich, wenn sie eine erhalten. Das eröffnet neue Potenziale im Kundendialog. Da die Jüngeren diese Möglichkeit stärker nutzen, könnte man in den Jugendprogrammen der Banken leicht einen Versuch starten.
Vielleicht könnte die KI die Botschaften nicht nur in andere Sprachen übersetzen, sondern auch gleich in die Jugendsprache. Obwohl: Wenn junge Bankkunden von ihrem 55-jährigen, Bankberater mit Anzug und Krawatte Nachrichten in Jugendsprache erhalten, ist das wohl eher «cringe».