Videoidentifikation – aber nicht am Sonntag und in der Nacht

Als die FINMA im März 2016 das Rundschreiben „Video- und Onlineidentifikation“ veröffentlichte, waren die Erwartungen hoch. Schon bald wird man rund um die Uhr, 7 Tage die Woche bei Banken Konten eröffnen können. Doch wie so oft heisst es auch hier: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Denn da gibt es ja noch das Arbeitsgesetz und das ist aus einer anderen Zeit.

Ja, das Internet hat die Gesellschaft verändert. Informationen sind immer und überall verfügbar – 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Man kann in Foren oder über Social Media jederzeit eine Frage stellen und irgendein – zum Teil selbsternannter – Fachmann antwortet. Oftmals innert Minuten. Oder ich kann Musik oder e-Books bestellen, bezahlen und sofort runterladen und geniessen. Ich kann den neuen Fernseher bestellen – wenn es sein muss morgens um 02:30 Uhr.

Die Banken haben das verstanden – und auch die FINMA. In Rekordzeit – für Schweizer Verhältnisse – wurde eine Regelung erlassen, die eine Kontoeröffnung online ermöglicht. Inkl. der nötigen Identifikation des Kontoinhabers resp. -eröffners. Und auch die ersten Banken waren schnell zur Stelle mit Online-Lösungen.

Videoidentifikation – die Realität

Aber kann ich nun mein Konto am Sonntagnachmittag oder nachts um 02:30 Uhr eröffnen? Ein kurzer Blick auf die aktuelle Situation zeigt: Mit rund um die Uhr und 7 Tage die Woche ist nichts.

BankMontag - FreitagSamstagSonntag
UBS08:00 - 22:0009:00 - 17:00nicht möglich
Valiant08:00 - 22:0008:00 - 22:00nicht möglich
GLKB08:00 - 22:0008:00 - 22:00nicht möglich
Raiffeisen08:00 - 20:00nicht möglichnicht möglich

Valiant und GLKB, die noch die längsten Servicezeiten anbieten, nutzen den Identifikationsservice von Swisscom.

Haben diese Banken (und Swisscom) noch nicht verstanden, dass das Internet 24 Stunden verfügbar ist? Natürlich nicht – das Problem liegt bei alten Gesetzen.

Arbeitsgesetz als Bremsklotz

Das schweizerische Arbeitsgesetz verbietet grundsätzlich die Nacht- und Sonntagsarbeit. Ausnahmen sind in einer Verordnung genau definiert. Ausnahmen gibt es für alles, was Überlebensnotwendig ist. So zum Beispiel für Einrichtungen im medizinischen Bereich, bei Gaststätten, in Zoos, in der Telekommunikation und Post, aber auch für Blumenhändler, Bäckereien und Spielbanken. Ja, Spielbanken.

Für richtige Banken gibt es nur Ausnahmen für den Effektenhandel und Finanzmarktinfrastrukturen. Nicht für die Identifikation von neuen Kunden.

Leider hat das SECO meine Anfrage nicht beantwortet, ob für Identifikationsdienste eine Ausnahmegenehmigung gewährt würde. Mehrere Anbieter von Videoidentifikationen haben mir inoffiziell mitgeteilt: Grund für die eingeschränkten Öffnungszeiten ist das Arbeitsgesetz und dass das SECO nicht zu einer Ausnahmeregelung bereit sei.

Gesetze von gestern für den Markt von morgen?

Es scheint ein Grundproblem zu sein, dass Gesetze höchstens die aktuelle Situation abbilden und regeln. Denn Dinge in einem Gesetz zu regeln, die es noch gar nicht gibt, scheint für unsere Politiker eine grössere Herausforderung zu sein. Das Arbeitsgesetzes trat im Jahr 2000 in Kraft. Damals konnte man sicher noch nicht davon ausgehen, dass das Internet mal so wichtig sein würde. Oder doch – schliesslich bezog in diesem Jahr die erste Familie in Hünenberg (SZ) ein Internethaus.

Behörden hätten aber oft einen Interpretationsspielraum bei den Gesetzen. So zeigte sich die FINMA in letzter Zeit vermehrt flexibel in der Auslegung der bestehenden Gesetze und ermöglichte beispielsweise die Video-Identifikation und die elektronische Kontoeröffnung per Rundschreiben. Es ist zu hoffen, dass auch das SECO seinen Spielraum ausnützt und den Unternehmen ermöglicht, ihre Kunden im Internet auch ausserhalb der normalen Arbeitszeiten zu bedienen.

Es gibt (k)eine Alternative

Zu meinen, dass man Entwicklungen mit Gesetzen aufhalten kann ist leichtsinnig. Denn Unternehmen sind (meist) kreativ. Hindern Gesetze daran, Kunden zeitgemäss zu betreuen, werden Unternehmen Alternativen finden. Und die liegen dann vermutlich nicht mehr in der Schweiz. Einen Video-Identifikationsservice z.B. aus Hongkong zu betreiben ist heute keine Herausforderung mehr. Nicht mal in Schweizerdeutsch: Denn man würde genügend junge Menschen finden, die gerne mal ein Jahr in der Ferne arbeiten möchten.
Credits:
Artikelbild von Flickr (Alan Clark), CC-Lizenz: CC BY-ND 2.0

3 Kommentare

  1. Hallo Claudio Gisler

    Danke für den spannenden Artikel. Ich bin zwar kein Jurist, aber vielleicht gäbe es eine einfache Möglichkeit für eine 24/7 Lösung. Das Rundschreiben regelt Video- UND Online-Identifikation. Bisher setzen im Markt die Banken auf Video-Identifikation. Den Ansatz Online-Identifikation habe ich noch nicht bei Banken – aber beim Fintech swisspeers – gesehen.

    Hintergrund: Elektronisch erstellte und dem Finanzintermediär eingereichte Kopien von Identifizierungsdokumenten sind der echtheitsbestätigten Ausweiskopie gleichgestellt, wenn sie gemäss einem der folgenden Verfahren unter Einhaltung der Voraussetzungen nach Rz 32–37, 38–39, 40–41 oder 42-44 erstellt werden.

    Konkret nötig ist:

    Absatz a) Elektronische Ausweiskopie mit Echtheitsprüfung durch den Finanzintermediär

    a) Bank holt von der Vertragspartei das elektronische Dokument ein (nicht über Dritte), mindestens Auslesen und Entschlüsseln der MRZ
    b) Tan Verifikation
    c) Wohnsitz verifizieren
    d) Geld ab einem auf den Namen der Vertragspartei lautenden Konto von einer anderer Schweizer Bank überweisen lassen

    Nicht ganz einfach, aber machbar und das 24/7 ohne hohe Kosten. Wie sehen Sie das?
    Liebe Grüsse

    • Hallo Stefan Lutziger

      Herzlichen Dank für Ihren Kommentar und die spannende Fragen.
      Die Onlineidentifikation ist nicht der persönlichen Vorsprache gleichgestellt und erfordert deshalb entweder a) die Überprüfung der Wohnadresse, b) eine elektronische Ausweiskopie mit qualifizierter elektronischer Signatur oder c) eine digitale Echtheitsbestätigung.
      Ich denke, die Varianten b) und c) können wir aktuell getrost vergessen: Mangels vernünftigen Angeboten benützt das in der Schweiz kaum jemand.

      Bei der Wohnsitzüberprüfung kann die Bank auf den Postweg setzen, auf ein anerkanntes Register oder eine Energie-, Wasser- oder Telekommunikationsrechnung. Postweg fällt bei 24/7 als Möglichkeit weg und ein anerkanntes Register mit Privatpersonen ist mir nicht bekannt. Die Rechnungskopien finde ich persönlich unschön, da man diese meist nicht zur Hand hat (nur gerade zuhause). Zudem wird für dieses Verfahren verlangt, dass eine Zahlung von einem anderen Konto bei einer Schweizer Bank auf das neue Konto gemacht wird. Hier stellt sich dann die Fragen, ob solche Zahlungen wirklich 24/7 ausgeführt werden (bin kein ZV-Spezialist) und man müsste die Überprüfung automatisieren. Man benötigt dann also auf jeden Fall eine (weitere) Schnittstelle zum Kernbankensystem. Und das kann, je nach Anbieter, zu einem Albtraum werden.

      Zudem glaube ich, dass der in RZ 32 verlangte Vergleich zwischen Passfoto und Lichtbild des Kontoeröffners auch wieder Menschen braucht. Und die dürfen dann eben auch nicht 24/7 arbeiten.

      Eine wirklich gute Lösung wäre, wenn endlich eine offizielle digitale Identität. Zum Beispiel mit einem Chip auf der ID.

      Liebe Grüsse
      Claudio Gisler

      • Hallo Claudio Gisler
        Danke für die ausführliche Antwort.
        Möglicherweise richtet die fehlende digitale Identität dieses Projekt, aber leider nicht vor 2020 🙁
        https://www.egovernment.ch/de/umsetzung/schwerpunktplan/identitatsverbund-schweiz/

        Bis dahin oder noch länger gilt es halt eine Lösung zu finden, wobei alle Banken bisher auf die Videoidentifikation setzen, dies vermutlich nicht unbegründet.

        Ich dachte beim Register an einen Anbieter wie https://www.crif.ch (wenn der führende Anbieter im Bereich der Adressnachforschung nicht ausreicht, an wen hat der Gesetzgeber dann gedacht, sich selber? Dann hätte ich gerne ein Login.)

        Aber mit der Online-Identifkation könnte – und das wäre der Vorteil – der Kunde den Prozess 24/7 aus seiner Sicht erstmal fertigstellen, immer jederzeit. Nur steht halt das Produkt dann nicht unmittelbar zur Verfügung, weil ja Mitarbeiter für gewisse Schritte nötig sind (das sind sie heute bestimmt auch bei der Videoidentifikation). Ich habe zwar noch nie bei einem Onlineversandhandel gearbeitet, aber ich denke auch dort geht die Lieferung erst raus, wenn die helfenden Mitarbeitenden am nächsten Morgen wieder im Hause sind und die Post Päckli entgegen nimmt.

        Falls das erste Konto eines Neukunden vollautomatisch fertiggestellt und sofort aktiviert werden könnte, dann müsste ja sowieso zuerst mal etwas gutgeschrieben werden, bevor es genutzt werden kann. Also so dringend wird das ja meist nicht sein und 24/7 ZV gibts bei SIX noch nicht.

        Ja, ist nicht ganz ohne (ist Video ja auch nicht), aber ich denke es wäre vermutlich schon praktikabel. Einfach dem Kunden am nächsten Arbeitstag die Welcome-Unterlagen samt Kontonummer im Portal hochladen und per E-Mail avisieren (samt Aufforderung für die erste Einzahlung). Die Aktivierung des Kontos mit dem ersten Zahlungseingang des Inhabers ist machbar, einfach und leider nicht für jeden Geschäftsfall (z.B. erstes Konto für Jugendliche, sicher eine interessante Zielgruppe).

        Liebe Grüsse
        Stefan Lutziger

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